Brigitte
        Kronauer
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        Zu Dieter Asmus
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        Bilder, angefangen bei den Gemälden der Gotik bis hin zu
        Comics und wieder  zurück,
        sind für mich von klein auf so wichtig gewesen wie Geschichten. Es gibt aber keinen lebenden Maler,  von dem ich so viel 
        profitiert  habe wie von
        Dieter Asmus. Und die lebendigen Künstler sind nun mal
        die unersetzlichen, weil sie, neben jederzeit möglichem Zuspruch und Widerspruch,
        mit denselben Zeitereignissen konfrontiert sind wie man selbst. Was den
        Kontakt mit Malern für mich als Schriftstellerin ganz allgemein so nützlich macht, ist der Umstand, daß ja erstens das Visuelle
        nicht unbedingt die Stärke von Autoren ist. Man hat
        also in den Bilderherstellern einen Gegenpol zur Wörter- und Geschichtenmacherei.
        Bei etwas Glück erhält man von den
        bildenden Künstlern, gewissermaßen als Beiwerk
        zu ihrer Produktion, Hinweise auf optische Phänomene, die man vielleicht
        mit literarischer Blind- oder Voreingenommenheit übersehen hätte. Zweitens
        ist das Reden übers trocken Handwerkliche, Materielle, über Pinselstärke
        und Format, bzw. über Konstruktion und Komposition - gottlob nicht über
        Sinnbild und Symbol - für sie viel selbstverständlicher
        und also direkter als das bei Literaten die Regel ist.     
        Dieter Asmus verdanke ich die Bewußtmachung und Bestärkung meiner eigenen Faszination von der Oberfläche, ja ich möchte es
        provozierender formulieren: von der Oberflächlichkeit
        der Welt, über die Goethe sagt: „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen:
        Denn was innen, das ist außen", von
        der Gewalt purer Gegenwart, von der unauslotbaren, geballten Augen- fälligkeit
        der Erscheinung. Dazu Mörikes Maler Nolten: „... die Wolke ..., deren
        Anblick mir eine alte Sehnsucht immer neu erzeugt", und die Asmus
        durch eine, manchmal geradezu aus der Fläche herausdonnernde Plastizität
        übersteigert und also neu formuliert. Etwa mittels einer von der
        Lokalfarbe bis ins Schwarz
        verlaufenden Kontur und den Einsatz von Schlagschatten (beides
        sehr schön beim Bild „Katze
        und Maus"
        zu
        beobachten), womit die Dinge,
        obwohl auf Anhieb identifizierbar, in deutlichem Kontrast stehen zu
        den landläufig bemerkten, präziser: schlampig registrierten Sachen der
        alltäglichen
        Wahrnehmungswelt. Denn kaum etwas fällt uns erstaunli cherweise
        schwerer, als die für sich genommen angeblich platt banalen Gegenstände
        (Menschen, Tiere, Landschaft inclusive) schnurstracks, frontal anzusehen
        und auszuhalten. Im Leben rettet man sich vor dem Anblick flugs
        in Begriffe, in der Kunst in die sogenannte eigentliche und höhere und
        tiefere Bedeutung. Hat man das eine oder andere geschafft, fühlt man sich
        schon mal souveräner, das heißt, wie zu Hause.        
        Da es sich so traf, daß mein Mann damals gerade eine bescheidene Erbschaft machte, entschloß er sich, obwohl wir uns bis dahin weder Couch noch Waschmaschine angeschafft hatten, den Maler um ein Bild zu bitten. Monatelang sahen wir in großer Spannung dem Werk, von dem wir nur eine Skizze kannten, entgegen. Und was stellte es dar? Nichts als eine ziemlich kleine Meise, die sich vor einer großen Kachelwand auf den weiten Weg von einem Blatt zum anderen macht. Ich selbst, die in der Literatur
        keine Verstörung scheute, war hier zunächst entgeistert über die Lakonie
        und den leeren Raum. Aber: Man mußte immer hinsehen. Es gab nichts
        zum Verstecken, keinen Nebel, keine Schummerzone, keine Flüchtigkeit.
        Der Vogel war der Vogel, exemplarisch durch und durch, heraldisch im
        so von mir noch nie gesehenen Spreizen seiner Flügel. Für immer angehalten
        in der Luft zwischen Ab- und Anflug, gravierte er sich ein. Es war nicht
        niedlich, es war erschreckend. Es handelte sich zweifellos um eine Meise,
        wie wir sie alle sogleich erkennen würden und doch um etwas vollkommen
        anderes. Für mich, in seiner Rigorosität, um eine Art Bombe. Die künstlerische
        Entwicklung eines Malers muß naturgemäß über andere Fixpunkte laufen als bei einem Literaten. Aufschlußreich, um ein
        legendäres
        Beispiel zu nennen, sind hier die vom Kubismus inspirierten Literaturexpe-
        rimente Gertrude Steins in ihrer Picassozeit. Für Asmus, der in
        der hohen Zeit des Tachismus an der Hamburger Kunsthochschule studierte
        und sich mit der kleinen Gruppe seiner Freunde, zunächst am Vorbild
        Jean Dubuffets, zu einer neuen Gegenständlichkeit vorarbeitete, aus
        materieller Dreidimensionalität der Bilder hin zu gemalter Plastizität
        und programmatischer Betonung der Dinge, war Dreh- und Angelpunkt
        der Kunst des 20. Jahrhunderts der
        große Formenzerstörer und -neuerfinder Pablo Picasso. Was Dieter Asmus und mich
        über die Gattungen und individuellen Entwicklungen
        hinweg verband und verbindet, ist, neben der Leidenschaft für
        die Phantastik des Sichtbaren, die Neigung zum Systematischen, Methodischen
        (Sprünge und Überraschungen dabei nicht ausgeschlossen), zum
        Schaffen eines Fundaments, auf dem man Schritt für Schritt weitergehen
        kann. Es ist das Interesse an den Dingen selbst, in unterschiedlicher Beleuchtung,
        aber nicht reduziert auf ihren medialen Reflex, als sei plastische
        Realität nur noch ein Gerücht und allein per Presse, Funk und Fernsehen
        bekannt. Es ist die Überzeugung, daß Kunst in erster Linie Setzung, daß
        sie Weltherstellung ist, die sich doch immer auf eine gegenständliche Wirklichkeit
        bezieht. Jede Art von Deformation, wo nötig: von extremer Verzerrung
        inbegriffen.     Und noch etwas.
        Wenn Sie das Porträt des Johann
        Baptist Reichert, 
        eins meiner
        Lieblingsbilder, ansehen,  betrachten
        Sie einen alten Mann, der in rentnertypischer Strickjacke aus
        seinem Garten heraus über den hohen Zaun blickt, ein bißchen
        mißtrauisch vielleicht, vom aktiven Leben bereits separiert und daher menschenscheu geworden. Sobald Sie wissen, daß es sich um einen ehemaligen professionellen Nazihenker handelt, ändert sich
        alles: riesige Hand, brennende Zigarette, kahler Schädel,
        tödliche Nacktheit der Augen, düsteres Glimmen des
        Blumenhügels. Kennen Sie
        dann einmal den Beruf des Porträtierten, vergessen Sie ihn zwar nicht
        mehr, aber nach einer Weile sehen Sie gleichzeitig auch wieder den alten Mann, irgendeinen alten Mann in beginnender Hinfälligkeit mit
        dem kindlich zugeknöpften Kragen, ausgeschlossen von der
        vita activa, der sich in seiner Einsamkeit ungetröstet
        verbarrikadiert. Das Gemälde pulsiert, es pulsiert
        aufgrund seiner Ambivalenz. Die aber können Sie als entscheidende Wirkungsingredienz auf allen Bildern von Dieter Asmus entdecken, vom spielenden Kind bis zur Selbstmörderin, und sie erfahren
        als künstlerische Äußerungsweise von Nicht-Ideologie
        und Humanität. Ich wünschte
        mir, mit meinen Texten wäre es nicht anders und will mich hier allerdings nicht „verjubeln", wie es bei Mörike vom
        Schwärmen eines Betrachters über ein Gemälde heißt.
        Ich möchte Sie eher warnen! Die Bilder von Dieter Asmus werden auch
        nach Jahrzehnten weder süffig noch leutselig. Falls man vom Kunstwerk aber gerade nicht joviale Verhätschelungen der Seele und der in eine wohltemperierte Zeitströmung angenehm eingewöhnten Sinne erwartet, sondern den ästhetischen Schock, den etwa eine vom Unwetter gewaschene, ja neu geschaffene Landschaft samt ihren Stimmungen und schönen wie erschreckenden Gegenständen erzeugt, dann ist man zum Liebhaber dieser unvergleichlichen Bilder bestimmt. 
 
 
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