Dieter Asmus

 
     
 

Das Cockpit des Malers

 
     
 

Zum Malen brauche ich:
1 Fotoapparat
1 Fernsehapparat
1 DVD-Recorder
1 Drucker/Kopierer
1 Projektor
Leinwand
Öl-/Acrylfarben
Pinsel/div. Malmittel
und: "Das Archiv"

In grauer Vorzeit, als ich anfing zu malen, sah mein "Cockpit" tatsächlich aus wie das des Neandertalers. Wand, Decke, Fußboden des Ateliers waren unter einer dicken Farblandschaft verborgen. Ich brauchte nicht mal eine Staffelei, sondern malte wie weiland Pollock auf dem Boden. Das war auch bitter nötig, ansonsten wären die Farbmassen, die auf Preßpappe oder Packpapier geschleudert, geklatscht, geträufelt, gekippt wurden - der ganze bunte Segen wäre, der Schwerkraft folgend, als Brei zu Boden gekleckert, anstatt schön brav "vor Ort", d.h. auf dem Bildträger zu verharren. Irgendwann war mein Malkittel von den vielen umherfliegenden Pigmenten so steif, daß man ihn als farbige Plastik in die Ecke (resp. Ausstellung) stellen konnte. Bei dem Versuch, aus Farbkonglomerationen Figuren und Dinge zu formen und so der Abstraktion mit (damals) zeitgenössischen Mitteln in die Zukunft zu entkommen, konnte auf die Umgebung keine Rücksicht genommen werden! Heute hat sich mein Arbeitsplatz fast ins Gegenteil verwandelt. Die Leinwand steht aufrecht, das Atelier ist halbwegs begehbar (wenn auch nicht annähernd so sauber wie bei Mondrians), alle Wände sind weiß. Aus den anfänglichen Dubuffet-Figuren (mit denen ich mich aber schon bald nicht mehr identifizieren konnte: wer sieht sich schon gern als Strichmännchen?) sind längst reale, plastisch bewegte Menschen im Raum geworden, die einerseits die formalen Errungenschaften der Moderne, andererseits die Erfahrungen der Fotografie bildnerisch reflektieren.

Dort, wo ich arbeite, in Hamburg, gibt es keine „klassischen“ Ateliers. Die Stadt der Medien und Banker hat zwar die größte Millionärsdichte der EG, aber in puncto Kunst keinerlei Lokalstolz, es sei denn, man hieße Horst Janssen. Die Hamburger Künstler malen daher zwar nicht wie Klee in der Küche, aber in Lagerschuppen, Fabriken oder sonst einem etwas größeren Raum, so auch ich. Ich verfüge sogar über 3 Fenster am Stück, an denen ich vor dem Bild hin- und hertigern kann, wichtig allein, daß das Licht von links kommt (Rechtshänder!), damit die Malhand keinen Schatten auf die bereits gemalten Partien wirft. Oberlicht wäre schön, aber wie gesagt. Vor die breite Fensterbank habe ich mir eine Arbeitsplatte in gleicher Breite montiert, so daß ich Platz habe für die Batterie der Öl- und Acrylfarben, der Pinsel (hochkant in Weckgläsern), der Malmittel sowie für Terpentinersatz (zum Auswaschen der Pinsel; man braucht zum Arbeiten ca. 2O-3O Pinsel gleichzeitig, sind alle benutzt, müssen sie wieder auf null gebracht werden) und, sehr wichtig, einen Haufen Mallappen zum Abwischen der Pinsel. Palette? Scheint eine Erfindung der Filmindustrie zu sein, sieht im Kino sehr dekorativ aus, ist aber völlig überflüssig: gemischt wird direkt auf der Leinwand, nur da kann man die Relation zu den anderen Farben beurteilen!

Im rechten Winkel zum Licht die Staffelei, rechts daneben in wiederum rechtem Winkel – also direkt gegenüber dem Fenster – eine große weiße Leinwand, die das Tageslicht reflektiert und für weiche, indirekte Beleuchtung sorgt: so wird der Lichtabfall von links nach rechts einigermaßen ausgeglichen, so daß man recht gut beurteilen kann, was man schon gemacht hat. An der Decke (wo in Berlin, München, Paris das Oberlicht sitzt) schwebt eine Kombination von Neonlampen, die angeblich „True Light“ liefern soll, aber natürlich Lichtjahre davon entfernt ist. Für Impressionisten tödlich (weshalb sie auch mit den Hühnern aufstehen mußten und im Winter im wesentlichen frei hatten), für mich aber nicht so schlimm, da ich mit Lokalfarben arbeite, die sich, einmal bei Tag angesetzt, nicht mehr ändern, sondern nur mit Weiß (Spitzlichter) bzw. Schwarz (Schatten) „vertrieben“, gestupft, überredet werden müssen, dem jeweiligen Ding ideale Plastizität zu verleihen. Also mit dem angemischten Blau für ein Auto z.B. kann ich, wenns sein muß, bis tief in die Nacht arbeiten – man muß auch mal Glück haben!

Um den eigentlichen Arbeitsplatz herum gruppieren sich eine Reihe von optischen Hilfsmitteln (nicht Mitteln). Zur Herstellung bewegter Figuren brauche ich erstens eine Schnellschußkamera (ohne die ich rapide Bewegungen nicht fixieren kann – eine Verlängerung, aber auch Verfremdung = Erneuerung des menschlichen Sensoriums, denn unser Auge ist leider steinzeitlich langsam geblieben). Oder ich ziehe „Das Archiv“  zu Rate, meine mittlerweile riesige Sammlung von Zeitungs– und Zeitschriftenfotos, die ich über Jahrzehnte gehortet habe, und die demnächst über mir zusammenschlägt. Oder aber ich schneide per DVD im Fernsehen entsprechende Szenen mit (z.B. gehört „der Fenstersturz“ in jeden guten Actionfilm!). Vorteil: man kann per Einzelbildschaltung Bewegungen punktgenau in der Sekunde anhalten, da sie unter bildnerischen Gesichtspunkten die optimale Stellung, den „absoluten Umriß“ erreichen. Ausdrucken, Umrisse projizieren. Das plastische Durchformulieren, oft gegen den fotografischen Augenschein, wandelt die zufällige Beleuchtung in prototypische Dreidimensionalität, ein langwieriger Malprozeß in Essig und Öl. Aus einem Dokument entsteht ein Bild, nicht bloß eine Abbildung – also Kunst. Wie sagte doch Hans Platschek so richtig? „Das Geistige in der Kunst wird (nach wie vor) mit der Hand gemacht“!

 

(erschienen in KUNSTZEITUNG Nr. 122)

 

 

 
     

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